Auch für ‚Mysterium‘ kam von Euch die Frage nach meiner persönlichen Lieblingsstelle im Buch. Und da eine auszuwählen ist mir diesmal besonders schwer gefallen.
Da Heinz Schäfer in diesem Thriller einen ganz besondern Raum für seine hessische Frohnatur bekommen hat, und ich ihn dort mundartlich agieren lasse, habe ich eine solche Stelle ausgewählt. Und zwar trifft sich Schäfer, nach seinem Missgeschick am Herrnweiher, mit seinen Kollegen in der SoKo S Lieblingskneipe ‚Bei Johnny‘:
Dosske ließ sich auf einen Stuhl am Tisch von Schäfer plumpsen. „Hast du die ganze Aufregung inzwischen verkraftet?“, fragte er.
Schäfer trug zwar Stärke zur Schau, doch drinnen sah es ganz anders aus. „Ach“, begann der rüstige große Mann optimistisch, endete aber nach einer kurzen Pause mit einem definitiven „nein!“
Dosske musterte sein Gegenüber.
Schäfer nahm einen mächtigen Schluck aus seinem Glas, stellte es auf dem Tisch ab und lehnte sich bequem auf seinem Stuhl zurück. Doch irgendetwas schien ihn dabei zu stören und ein bequemes Sitzen zu verhindern. Er fingerte an seiner Gesäßtasche. „Man, als mir noch die D-Mark hatte, hatt ich nie so viel Kleingeld im Beutel“, murrte er. „Aber mit dene neue Flocke!“ Schäfer stand kurz auf, zog sein Portemonnaie aus braunem Leder aus der Hosentasche und knallte es auf den Tisch.
„Der kann aber nix dafür“, hauchte Dosske mit Fingerzeig auf den geschundenen Geldbeutel und sah Schäfer dabei in seine Augen. Das was Schäfer störte, war nicht wirklich dieser Geldbeutel, stand dort für Dosske zu lesen. Daher unterdrückte er die Bemerkung, dass die ’neue Flocke‘ nicht mehr unbedingt als neu zu bezeichnen waren. Die D-Mark gab es schon seit über zehn Jahren nicht mehr.
Und der blonde Hüne bestätigte auch sofort Dosskes Einschätzung. „Isch bin immer noch ganz fix und ferddisch!“, erklärte er im schönsten Hessisch. „In was bin isch da nur enei gerade!“, entfuhr es Schäfer, den ein Gefühl von Unwirklichkeit immer noch nicht verlassen hatte. „Als die den Tote von da unne ruffgeholt hawwe …“, er ließ den Rest unausgesprochen, aber seine Augen sprachen weiterhin eine klare Botschaft.
Dosske nickte, wobei sein Blick verständnisvoll wurde.
„Waaste, dass es irschendwo an dere Haaner Burg en Dunnel gewe sollt, dadraus hot ja kaaner e Geheimniss gemacht, aber dass es den werklisch gibt, des ist escht …“, wieder fehlten Schäfer die Worte.
„… unglaublich“, half Dosske aus.
„Isch bin mer dort vorgekomme, als wenn de Carter grad des Grab von dem Tut geöffnet hätt“, erinnerte sich Schäfer.
Dosske lachte.
Stefan Färber, ein weiterer SoKo-Kollege, trat an Schäfers Tisch heran und hieb dem Fuhrparkleiter freundschaftlich auf den Rücken. „Na, hast ja einen tollen Fang gemacht“, feixte er im Vorbeigehen.
„Witzisch, sehr witzisch“, fauchte Schäfer.
Obwohl heute Johann Freibichler, der Besitzer des ‚Bei Johnny‘, nicht seinen beliebten ‚Zweites-auf’s-Haus-Mittwoch‘ veranstaltete, brummte der Laden. Einige der Gäste stammten aus Christs fünfzig Mann starker Truppe. Auch der nächste Gast, der über die Schwelle trat, Andreas Haller, war ein SoKo Kollege. Als er Schäfer sitzen sah, lief er auf ihn zu und holte Luft, um etwas zu sagen.
Doch Schäfer, der den Augenaufschlag des Kollegen wohl zu deuten wusste, kam ihm zuvor. „Loss es!“ schmetterte er ihm entgegen.
Haller hob sich ergebend die Hände und trollte sich, wobei auf seinem kantigen Gesicht ein Schmunzeln lag.
„Weiß es eigentlisch aaner noch net?!“, haderte Schäfer.
„Tja, unser Treppenhausfunk funktioniert halt“, brummte Dosske in Richtung des Gebeutelten.
„Toll“, stieß Schäfer zwischen den Zähnen hervor.
„Naja, es ist aber auch wirklich ein Ding, was dir da passiert ist“, meinte Dosske versöhnlich.
Schäfer seufzte. „Isch war heut noch emol dort“, erzählte er. Es hatte ihn geradezu magisch wieder den Ort des Geschehens gezogen.
„Und?“
„Die sin da immer noch am schaffe, dabbe immer noch im dicke Schlammbes rum“, gab Schäfer an.
„Die?“
„Isch nehm mal an, die vom Denkmalschutz“, verdeutlichte er, wobei sein Blick in die Ferne ging.
Als Schäfer am Nachmittag nach seinem Dienst hinausgefahren war, hatte er am leergelaufenen Herrnweiher immer noch die Flatterbänder zur Absperrung vorgefunden. Mit ein paar anderen Schaulustigen hatte Schäfer sich, soweit er konnte, dem unheilvollen Loch genähert.
Man hatte Steine und Schlamm aus dem Tunnel an die Oberfläche befördert, und nur ein paar Schritte von dem Loch, das den Zugang zur Unterwelt gewährte, abgelegt.
Georg Schüllermann hatte am Einsturz gestanden und sich lebhaft mit jemandem unterhalten, als er auf Schäfer aufmerksam wurde. Darauf war der Vorsitzende des Angelsportvereins zu ihm herübergekommen und hatte berichtet, dass noch vollkommen unklar war wohin der Tunnel führte, und es wohl noch etwas dauern würde, bis man Licht in das Dunkel bringen konnte.
Inzwischen hatte man Schilder, die das unbefugte Betreten verbaten, aufgestellt. Eine ständige Streife verhinderte jeglichen Versuch.
Diese Bilder hatte der Hüne wieder vor sich, als er nun darauf zu sprechen gekommen war. Doch jetzt beendete er seine Erinnerungen und kam ins hier und jetzt zurück. Er hob die Faust vor seinen Mund und stieß verstohlen auf. „Man, sag nochmal einer Fische sind stumm“, maulte er, „der, den ich gestern gegesse hab, schwätzt immer noch mit mir.“
Dosske schmunzelte, so kannte er seinen Heinz Schäfer. Zu jeder Gelegenheit einen Spruch auf den Lippen. Die Hoffnung ist also noch nicht verloren! …..